Bingen - Pos. 3
Stolpersteine für Hugo, Rosa, Emma, Adele und Henny Marcus in der Schmittstraße 49
Text: Beate Goetz
Von den Geschwistern Marcus, an die fünf Steine in der Schmittstraße 49 erinnern, ist nicht allzu viel bekannt. Im Adressbuch von 1927/28 für Bingen, Bingerbrück und Rüdesheim findet sich unter Marcus der Eintrag: Rosa, Emma, Adele und Henny Marcus, Modes, Schmittstraße 93. Die vier Schwestern betrieben gemeinsam einen Hutladen, Rosa (*1870), die älteste, nannte sich 'Putzmacherin'. Der Ausdruck 'Modes' als Geschäftsbezeichnung deutet darauf hin, dass sich noch bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sprachliche Relikte aus der Franzosenzeit (1793 - ca. 1815) im allgemeinen Sprachgebrauch erhalten hatten.
Eine im Frühjahr 1936 vollzogene Umstellung sämtlicher Hausnummern bedingte eine vollständige Neubearbeitung des gesamten Adressennachweises. Im neuen Adressbuch nannten sich die Damen Marcus 'Modistinnen', der Laden firmierte unter 'Modewaren', die Hausnummer war nun 83.
Hugo Marcus (*1874), der zeitweise in der Amtsstraße 6 wohnte, war kaufmännischer Angestellter. Die Eltern Bernhard und Louise Marcus geb. Loeb waren im März 1940, als jeder jüdische Haushaltsvorstand einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen musste, schon verstorben.
Herbert und Elisabeth Simon aus Frankfurt wollen mit dem Stein für Emma Marcus (*1876) die Person ehren, die sich lange Zeit besonders liebevoll um die Großeltern Anselm und Caroline Simon aus der Gaustraße 6 gekümmert hatte und Familie Simon freundschaftlich verbunden war.
In einem Brief, den Emma Marcus im November 1941 an die Eltern von Herbert Simon, Ludwig und Martha Simon, ins chilenische Exil richtete, gab sie ihrer depressiven Stimmung Ausdruck angesichts der bedrückenden Verhältnisse und immer härteren Restriktionen, unter denen die noch im Land verbliebenen Juden zu leiden hatten:
„…Anders bei uns, eine trübe Gegenwart und eine noch trübere Zukunft liegen vor uns, darüber lässt sich nichts sagen, aber Ihr könnt Euch gewiß in unsere Situation hinein versetzen, da ist jeder Kommentar überflüssig. Fünf Menschen und keine produktive Arbeit – das besagt alles!!! Gesund sind wir noch, aber die Nervenprobe, die wir zu bestehen haben, zermürbt und bleibt nur der eine Wunsch, daß es hoffentlich bald überstanden sein möge und das ganze Leben vorüber sei!! Durch Eure liebe Mama hört Ihr ja auch über die verschiedenen Veränderungen, es waren so viele wieder reisefertig, und im letzten Moment war wieder alles zunichte geworden… Wie gut hattet Ihr es noch getroffen, und, an den heutigen Formalitäten gemessen, so viel noch leichter…“ (Familie Simon war 1939 nach der sogen. 'Kristallnacht' aus Deutschland geflohen.) 'Hiesige Neuigkeiten, die Euch interessieren, wüsste ich gar keine. Man lebt dahin, ein Tag wie der andere, und die Umwelt ist einem fremd geworden…'
Das Original von Emma Marcus’ Brief befindet sich im Jüdischen Museum in Berlin unter der Signatur: DOK 93/3/1.
Rosa, Emma, Adele (*1878) und Hugo Marcus wurden am 27. September 1942 zusammen mit 1288 Juden aus dem Raum Mainz nach Theresienstadt deportiert; Henny Marcus (*1882) kam am 30. September zusammen mit weiteren 883 jüdischen Menschen nach Auschwitz.
Den Stein für Rosa Marcus sponsert Viola Bergmann aus Bingen. Als Genia Kreling aus Waldalgesheim sich kurz nach der Verlegung der ersten beiden Steine beim Arbeitskreis meldete, meinte sie: 'Wir wollen einen Stein sponsern, denn unsere Kinder sollen aus unserer Geschichte etwas lernen.' Die Familie trägt die Kosten (95 € pro Stein) für Adele Marcus’ Stein. Die Patenschaft für die Steine von Hugo und Henny Marcus übernimmt eine 8. Klasse der Hildegardisschule. Die Schülerinnen hatten zusammen mit ihrer Lehrerin während eines Schulkonzertes mit jiddischen Liedern die Pausenbewirtung übernommen und spendeten einen größeren Betrag zur Finanzierung von Stolpersteinen.
Für vier der Geschwister gibt es ein genaues Todesdatum, Henny Marcus’ Schicksal ist unbekannt.